Online-Diskussionsveranstaltung zur russischen Invasion der Ukraine von der Universität Kassel, CELA und dem Projektverbund Extractivism.de am 15.03.2022. Ein Video der Veranstaltung finden Sie auf der Seite des Projektverbundes www.extractivism.de.
Der Überfall Russlands auf die Ukraine deutet schon jetzt auf einen tiefen Wandel unserer internationalen Ordnung. Schnell wurde ein wirksames und international koordiniertes Sanktionspaket gegen Russland auferlegt, das bisherige Maßstäbe deutlich übertrifft. Deutschland veränderte innerhalb weniger Tage die Grundpfeiler seiner Außen- und Sicherheitspolitik. Führende internationale Mächte liefern Waffen in das Kriegsgebiet. Energiesicherheit breiter Bevölkerungsschichten scheinen bedroht, Energieabhängigkeit Europas von russischen Gasimporten ist in aller Munde. Deutschland und die Europäische Union suchen nach einer neuen Rolle – der Krieg zwingt sie zu Weltpolitik.
Nach Begrüßungsworten von Prof. Dr. Ute Clement, Präsidentin der Universität Kassel, diskutierten auf dem Podium Prof. Dr. Andrea Gawrich (Justus-Liebig-Universität Gießen), Prof. Dr. Rachid Ouaissa (Philipps-Universität Marburg) und Dr. Gustav Meibauer (Radboud University Nijmegen) über die Folgen und Auswirkungen des Krieges zwischen Russland und der Ukraine. Dr. Hannes Warnecke-Berger (Extractivism.de, Universität Kassel) moderierte das Gespräch.
In ihrer Begrüßung unterstrich Prof. Dr. Ute Clement, Präsidentin der Universität Kassel, die Bedeutung des Krieges in der Ukraine als eine Zäsur für die globale Ordnung. In der gegenwärtigen Zeit, in der der Krieg in der Ukraine Engführungen und Eigendynamiken provoziere, komme der Wissenschaft eine bedeutende Rolle zu. Sie sieht die Universität in der Pflicht, mit fachkundiger Analyse brisante Situationen erklärbar zu machen und somit einen Beitrag zum besseren Verständnis und zur Prävention künftiger Kriege zu leisten. Mit diesem Plädoyer eröffnete die Präsidentin der Universität Kassel die Diskussionsrunde.
Zunächst standen Perspektiven auf die politischen, ökonomischen, und sozialen Gefahren, aber auch auf die Chancen, die die Ukrainekrise für das internationale System der Zukunft offenbart, im Vordergrund des Gesprächs. Intensiv wurden dann die globalen Wandlungsprozesse in den Blick genommen, und die damit verbundenen Herausforderungen benannt. Die Diskussion unterstrich zunächst, dass die Bedeutung dieser Zäsur global unterschiedlich wahrgenommen werde. Wie Prof. Dr. Rachid Ouaissa mit dem Fokus auf die Länder des Globalen Südens ausführte, entstünde ein Dilemma zwischen stark gestiegenen Nahrungsmittelpreisen und zusätzlichen Einnahmen aufgrund von sehr hohen, aber unsteten Erdölpreisen. Viele Länder des Globalen Südens seien aber auf den Export von Rohstoffen und den Import von Nahrungsmitteln angewiesen, sodass hier zukünftige Krisen zu vermuten seien. Dr. Gustav Meibauer verdeutlichte, dass China schon jetzt eine zentrale globale Rolle zuzuschreiben sei, und diese auch in Zukunft noch weiter anwachsen werde. Eine Rückkehr zu lange öffentlich wenig beachteten Themen, wie etwa atomarer Abschreckung, sei in einem sich abzeichnenden neuartigen internationalen System unabdingbar. Schließlich betonte Prof. Dr. Andrea Gawrich, dass sich sowohl für Europa als auch für Russland und für viele Länder des Globalen Südens die Erwartungen an Demokratisierung bisher nur wenig materialisiert hätten. In Zukunft werde aus diesem Grund die lange Zeit scheinbar vergessenen politischen Dynamiken in autoritären Staaten in den Fokus der Forschung rücken und als relevantes Thema für Außenpolitik an Bedeutung gewinnen.
Damit stimmten die Redner:innen zu, dass Europa und insbesondere Deutschland ihren Platz in der Weltpolitik noch einnehmen müssen und sich nun zentrale und weitreichende Entscheidungen anbahnen werden. Der Erfolg von Nachhaltigkeitsstrategien und damit die Themenblöcke Energie- und Rohstoffpolitik zeichnen sich schon jetzt als zentrale Hebel ab, an welchen sich diese weltpolitische Rolle messen lassen müsse.
Ganz unmittelbar aufgrund der europäischen Abhängigkeit von Rohstoffimporten aus Russland ist nun die sich andeutende klimapolitische Wende in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses getreten. Jedoch verdeutlicht die Ukrainekrise schon jetzt, dass Energiepolitik auch zu enormen internationalen Spannungen führen kann. Um diese Schattenseite der Nachhaltigkeit zu meistern, wird eine zentrale Herausforderung der Zukunft sein, wie die europäische Energiewende gemeinsam mit Rohstoffländern gestaltet werden kann. Welche konkreten gesellschaftlichen Folgen dies sowohl für die extraktiven Rohstoffländer des Globalen Südens aber auch für die Gesellschaften des Globalen Nordens mit sich bringen werden, bleibt abzuwarten. Die Einschätzung dieser Entwicklungen wird jedoch für Wissenschaft und Politik von zentraler Bedeutung sein, wie die Podiumsdiskussion unterstrich.
Damit verdeutlichte die Diskussion über die Ukrainekrise als weltpolitische Zäsur, dass sich die Themen des Projektverbundes Extractivism.de als äußerst relevant herausstellen.