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Die Idee

Rohstoffe und Klimawandel stehen in einem eigentümlichen Verhältnis: Einerseits sind Gesellschaften auf Rohstoffe angewiesen. Aus Rohstoffen wird Energie gewonnen und Rohstoffe liefern die Vorprodukte für Produktion und Konsum. Nach wie vor sind Rohstoffe eines der wichtigsten Schmiermittel der Weltwirtschaft. Mehr als 100 Länder haben sich auf die Gewinnung und den Export von Rohstoffen spezialisiert. Rohstoffe haben direkten Einfluss auf den Lebensunterhalt von mindestens einem Viertel der Weltbevölkerung. Ohne Rohstoffe ist die derzeitige Welt nicht denkbar. Andererseits ist die Extraktion von Rohstoffen „dirty“. Naturräume werden durch Rohstoffproduktion zerstört und die Klimaerwärmung insbesondere durch fossile Rohstoffe befeuert. Die Abhängigkeit von Rohstoffen bringt weitere Probleme mit sich, wie nicht nur in Krisen innerhalb rohstoffexportierender Länder deutlich wird, sondern nicht zuletzt in der derzeitigen geopolitischen Situation zum Ausdruck kommt.

Schon jetzt ist absehbar, dass die globale Bedeutung von Rohstoffen in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird. Anstrengungen, die Energiewende nachhaltig zu meisten und damit den Klimawandel mitzugestalten erfordern es, Rohstoffen einen besonderen Stellenwert einzuräumen. Die angestrebte Energiewende zum Zweck der nachhaltigen Klimapolitik wird hierbei die Rohstoffgrundlagen der Weltökonomie massiv verändern. Dies bedeutet nicht nur tiefe Wandlungsprozesse für die Länder des Globalen Nordens, sondern hat auch schwerwiegende Auswirkungen für viele Länder des Südens, die von Rohstoffexporten abhängen. Damit wird die bestehende Struktur des internationalen Systems und der Weltwirtschaft herausgefordert.

Die Ringvorlesung wendet sich diesem Problemkontext zu und nähert sich den Fragen zunächst aus der Perspektive Lateinamerikas und dem Maghreb. Die Beiträge fokussieren auf das Verhältnis von Rohstoffen und Klimawandel aus empirischer, regionaler und/oder theoretischer Perspektive. Sie werden dadurch verbunden, dass sie nicht nur die Risiken des Verhältnisses von Rohstoffen und Klimawandel analysieren, sondern auch Möglichkeiten und Chancen ausleuchten.

Das Programm

Seit der „Entdeckung“ der neuen Welt durch Kolumbus wird die Entwicklung Lateinamerikas stark durch Europa beeinflusst. Dieser Austausch war immer ambivalent: Er
zeichnete sich durch Dominanz und Abhängigkeit, aber auch durch Kooperation und gegenseitige Inspirationen aus. Rohstoffe waren dabei immer von zentraler Bedeutung und der Klimawandel ist in beiden Regionen kein Unbekannter. Der Vortrag geht auf Suche nach historischen Bedingungen, stellt die aktuellen Beziehungen zwischen beiden Regionen dar und versucht ein Ausblick.

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Die übergreifenden Fragen der Ringvorlesung nach den Zusammenhängen von Klimawandel, Rohstoffen, Energiewende und Weltwirtschaft werden in diesem Vortrag durch die Brille von brasilianischen Unternehmen behandelt, die sich zunehmend auf eine CO2-regulierte Geschäftswelt einstellen müssen. Am Beispiel Brasiliens geht es um das Spannungsfeld von fossilen Energieträgern, beschleunigter Abholzung, Finanzmärkten, nationaler Politik und globaler Klimagovernance. Eingebettet in die Fragestellung, ob das Erreichen der Pariser Klimaziele unter derzeit gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen noch plausibel ist, stellen wir unseren Forschungsansatz zur Dekarbonisierung der Wirtschaft vor und präsentieren exemplarische Ergebnisse zum Fallbeispiel Brasilien. Die Forschungsarbeit wird im Kontext des Hamburger Exzellenzclusters „Climate, Climatic Change, and Society (CLICCS)“ durchgeführt.

Klima- und energiepolitische Maßnahmen haben geopolitische Implikationen während viele geopolitische Trends einen verstärkten Einfluss auf die Klima- und Energiepolitik haben. Die oftmals postulierte ‚Große Transformation‘ ist daher auch ein geopolitisches Projekt. Simon Dalby spricht in diesem Kontext auch passender weise von einer „Geopolitik des Anthropozäns“. Der Vortrag greift diesen Zusammenhang auf und erläutert, welche klassischen, aber auch kritischen Perspektiven es auf Geopolitik gibt und wie diese helfen, den wechselseitigen Einfluss von Geopolitik auf Klima- und Energiepolitik und vice versa konzeptionell zu fassen. Empirisch fokussiert der Beitrag auf das geopolitische Konfliktpotential von energie- und klimapolitischen Maßnahmen. Hierbei wird zum einen die Materialität der aktuellen Energiewenden als auch der räumliche Bedarf sogenannter negativer Emissionen diskutiert.

Forschungen zu so unterschiedlichen Weltregionen wie insbesondere Lateinamerika, dem Nahen Osten und Nordafrika sowie dem subsaharischen Afrika haben gezeigt, dass Erdöl und die aus ihrem Export gewonnenen Renteneinkommen überall eine hohe Prägekraft aufweisen. Allerdings nimmt diese Prägekraft je nach regionalen Kontextbedingungen durchaus unterschiedliche Formen an. Aufgrund des seit der Erdölrevolution in den frühen 1970er Jahren anfallenden Überflusses an Kohlenwasserstoffrenten auf der arabischen Golfhalbinsel ist mit dem Petrolismus ein auf Rohstoffrenten basierendes regionales System entstanden, das über die erdölproduzierenden Golfmonarchien hinaus auch den mit nur geringen oder keinen Rohstofflagerstätten  ausgestatteten Staaten des Nahen Ostens – insbesondere Ägypten, Jordanien und Libanon – seinen Stempel aufdrückt . Dabei verläuft die transnationale Rentenverteilung zwischen den ressourcenreichen, aber bevölkerungsarmen arabischen Golfstaaten und den ressourcenarmen, aber bevölkerungsreichen Ländern des Maschrik über zwei Kanäle: Budgetüberweisungen und Investitionen der arabischen Golfmonarchien (und im Falle der libanesischen Hisbollah auch Irans) in den Maschrik und Arbeitsmigration in umgekehrter Richtung.
Der Vortrag stellt sich vier Aufgaben. Erstens soll die Prägekraft der Erdölextraktion für die politische Ökonomie und die regionalen Beziehungen im Nahen Osten beleuchtet werden. Dabei gilt es zu betonen, dass durch den Petrolismus asymmetrische Interdependenzen zwischen Staaten geschaffen worden sind, die über hohe Erdölrenten verfügen, und solchen, die geringe oder keine Rohstoffe besitzen. Das System des Petrolismus hat die Herausbildung sogenannter Semi-Rentierstaaten konsolidiert, deren politische Ökonomien jenen von Erdölrentierstaaten in vielerlei Hinsicht ähneln.
Zweitens sieht sich das System des Petrolismus seit den 2010er Jahren vor große Herausforderungen gestellt. Zum einen haben regionale Ereignisse – insbesondere Verwerfungen im Zusammenhang mit dem „Arabischen Frühling“ – und globale Entwicklungen – insbesondere der Ölpreisschock 2014 – zum ersten Mal seit der Ölrevolution einen Trend weg vom Rentenüberfluss hin zur Rentenknappheit konstituiert. Angesichts der globalen Energiewende erscheint es sehr wahrscheinlich, dass dieser Trend sich mittel- bis langfristig verstärken wird.
Drittens soll dargelegt werden, dass die Golfmonarchien – insbesondere Saudi-Arabien, aber auch die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar – pro-aktiv auf die neuen Herausforderungen reagiert haben. Mit bemerkenswerten Ergebnissen warten dabei weniger die von den Golfmonarchien propagierten Strukturanpassungen und die Bemühungen um eine aktive Rolle in der globalen Energiewende auf. Vielmehr sind es neue Formen der Petro-Aggression und erfolgreiche Anpassungen im Bereich des Rent-Seeking, mit denen einige der Golfmonarchien Furore gemacht haben. Insbesondere die Effektivität der von Saudi-Arabien geführten OPEC+ soll thematisiert werden.
Der Vortrag schließt viertens mit Reflexionen, wie Forschungen zu Extraktivismus im Nahen Osten und anderen Weltregionen, die sich bisher nur in unzureichendem Maß gegenseitig gewürdigt haben, voneinander lernen könnten.

Lieferkettengesetze und Zertifizierung von Rohstoffen erfahren immer mehr Beachtung im Kontext Klimawandel und Energiewende. Denn der Abbau von z.B. Lithium und Kobalt, die für Solaranlagen und Windrädern benötigt werden, ist nicht selten mit immensen ökologischen und sozialen Problemen verbunden. So verfügt etwa die Demokratische Republik Kongo (DRK) ber die Hälfte der weltweiten Kobaltreserven. Der Abbau dort ist mit den gleichen ausbeuterischen und gewalttätigen Praktiken verbunden wie von Zinn, Wolfram, Tantal und Gold (3TG) – den sogenannten „Konflikt-Mineralien“. In der Europäischen Union (EU) existieren für letztere bereits seit mehreren Jahren Sorgfaltspflichten. Dabei geht es darum, die Finanzierung von Gewalt durch den internationalen Handel mit diesen Mineralien zu unterbinden. Die EU nutzt somit ihre Handelsmacht zur Durchsetzung von internationalem Frieden, auch wenn dies zu hohen Preisen für Rohstoffimporte führt. Es zeigt sich allerdings, dass die Umsetzungskosten ähnlich wie bei Zertifizierung vor allem lokale Kleinproduzent:innen benachteiligen, was globale Marktkonzentrationen verschärft. Hinzu kommt, dass stereotype Narrative über den globalen Süden und insbesondere Afrika als „barbarischen” Kontinent reproduziert werden. Am Beispiel der DRK werden im Vortrag Machtverschiebungen zwischen globalem Norden und Süden durch Lieferkettengesetze und Zertifizierung erläutert.

Im Vortrag werden die Auswirkungen der Öleinnahmen auf die Größe und das Einkommen der Mittelschicht im Iran untersucht. In Anlehnung an Kharas (2017) wird ein absolutes Maß verwendet, um die Mittelschicht als diejenigen zu definieren, die zwischen 11 und 110 US-Dollar pro Tag verdienen (2011 PPP). Die Studie verwendet jährliche Zeitreihendaten für den Zeitraum 1965-2017 und ein vektorautoregressives (VAR) Modell zusammen mit Impulsantwort- und Varianzzerlegungsanalysen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Reaktion der Mittelschicht auf positive Öleinkommensschocks im Iran positiv und signifikant ist. Ferner wird gezeigt, dass die Kanäle des internationalen ölunabhängigen Handels, des Dienstleistungssektors und der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung für das Verständnis der Beziehung zwischen dem Öleinkommen und der Mittelschicht im Iran wichtig sind. Diese Ergebnisse sind robust, wenn man andere Kanäle im Zusammenhang mit dem Öleinkommen und der Mittelschicht sowie alternative Definitionen des Einkommens der Mittelschicht auf der Grundlage relativer Maße aus den iranischen Haushaltserhebungen über Einkommen und Ausgaben berücksichtigt.

Die Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) ist ein Konzept für nachhaltiges Ressourcenmanagement, das darauf abzielt, Umweltbelastungen durch menschliche Aktivitäten zu verringern. In Zeiten des immer deutlicher spürbaren Klimawandels bietet Kreislaufwirtschaft einen „Werkzeugkasten“ für Innovationen in Richtung einer ökologisch, sozial und wirtschaftlich nachhaltigen Welt.
Dieser Werkzeugkasten für die Zukunft erlangte in den vergangenen 10 Jahren wachsende Popularität in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Gleichzeitig sind die Auswirkungen von Kreislaufwirtschafts-Initiativen auf Ökosysteme und das menschliche Wohlergehen noch immer wenig erforscht oder reflektiert.
Dieser Vortrag beleuchtet Potentiale und Risiken einer Kreislaufwirtschaft für den nachhaltigen Umgang mit Rohstoffen und Klimawandel.

Der Klimawandel verschärft die ohnehin ausgeprägte Wasserkrise im Maghreb und multipliziert die Risiken für die Nahrungssicherheit, Gesundheit und Lebensgrundlagen. Dies bedroht auch zentrale staatliche Funktionen wie Schutz (z.B. vor Flut und Dürre), Versorgung (etwa mit Trinkwasser) und Beteiligung der Bevölkerung (z.B. an Entscheidungen über Wasserinfrastruktur und -verteilung). Vielerorts führt dies zu teils gewaltsamen Protesten; die Bevölkerung stellt die Legitimität der Regierungen in Frage. Gleichzeitig beruhen die Gesellschaftsverträge der Region auf einer höchst ungleichen und wenig nachhaltigen Wassernutzung: einer einflussreichen Elite wird vielerorts erlaubt, unbegrenzt Grundwasser für die Landwirtschaft zu entnehmen während Kleinbauern unterversorgt sind, und einflussreiche Investoren in Tourismus- und anderen Investitionsprojekten werden trotz der Wasserknappheit unzureichend reguliert. Der Vortrag erklärt, warum die Wassergovernance eine zentrale Rolle für die Gesellschaftsverträge im Maghreb darstellt und mit welchen Risiken, aber auch Chancen für inklusivere Entwicklungspfade die Herausforderungen des Klimawandels verbunden sind.

Einige Länder Lateinamerikas zählten noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den reichsten der Welt. Der Kontinent war nicht nur reich an Einkommen, sondern auch an Rohstoffen. Zunehmend begann sich Lateinamerika auf den Export dieser Rohstoffe zu spezialisieren. Mitte des 20. Jahrhunderts konkurrierte Lateinamerika mit Ostasien um Entwicklungsfortschritte. Lateinamerika gelang es jedoch weder in der Produktion noch im Export die eklatante Rohstoffabhängigkeit zu diversifizieren. Der Vortrag erörtert diese Persistenz von Roshtoffextraktivismus in Lateinamerika. Er zeichnet einschneidende Entwicklungsmomente des Extraktivismus nach und stellt Überlegungen an, wie Lateinamerika durch Klimawandel und Nachhaltigkeitsstrategien in Europa herausgefordert wird. Der Vortrag zeigt, dass Ungleichheit und Fragen der Einkommensverteilung wichtige Faktoren der Erklärung dieses Zusammenhangs sind. Lateinamerika war zu reich, aber gleichzeitig auch zu ungleich, um sich zu entwickeln. Wird diese Frage nicht angegangen, verpasst Lateinamerika ein weiteres Mal die Chance, sich von der Rohstoffabhängigkeit zu lösen.

„Die Welt steht am Abgrund“, mit diesen aufrüttelnden Worten drängte Antonio Guterres am Vorabend der Klimakonferenz von Glasgow einmal mehr darauf, dem allgegenwärtigen Gerede über das Klima endlich Taten folgen zu lassen. Der UN-Generalsekretär hat allen Grund zur Sorge, denn die Daten zum Klimawandel sind besorgniserregend. Obwohl die Welt wegen der Corona-Pandemie zeitweilig still zu stehen schien, sind die Kohlenstoffemissionen 2021 wieder besorgniserregend angestiegen, um 2022 Rekordniveau zu erreichen. Zwar gab es 2020 einen Rückgang der klimaschädlichen Emissionen um etwa sechs Prozent, doch für die menschengemachte Erderhitzung ist das kaum von Bedeutung. Der Klimawandel nimmt weiter Fahrt auf. Das 1,5-Grad-Erderhitzungsszenario und selbst das Zwei-Grad-Ziel geraten in Gefahr. Die katastrophenträchtige Entwicklung vor Augen, stellt sich die Frage nach den Aussichten einer sozial-ökologischen Transformation und damit nach gesellschaftlichen Verhältnissen, innerhalb derer sich realisieren lässt, was nun auch der Weltklimarat (IPCC) fordert – eine globale Nachhaltigkeitsrevolution. Haben wir die Chance dazu bereits vertan oder gibt es begründete Aussichten auf eine erfolgreiche Transformation? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Klaus Dörre in seinem Vortrag. Seine These lautet, dass ökologische und soziale Nachhaltigkeit sich wechselseitig bedingen, weshalb das eine ohne das andere nicht zu haben ist. Beide Zielsetzungen sind konfliktträchtig. Gesellschaftliche Akteure können in der Transformation daher nur erfolgreich sein, wenn sie das Spannungsverhältnis zwischen sozialen und ökologischen Nachhaltigkeitszielen erfolgreich bearbeiten.

Vom „Ressourcenfluch“ ist typischerweise die Rede, wenn für die rohstoffreichen Länder des globalen Südens ein verhängnisvoller, quasi gesetzmäßiger Zusammenhang von Ressourcenreichtum und ökonomischen, politischen und sozialen Fehlentwicklungen behauptet wird. Die andere Seite der Medaille hingegen bleibt gängigerweise dethematisiert – dass sich nämlich der postulierte Zusammenhang ohne den Ressourcenhunger der reichen Industriegesellschaften des globalen Nordens gar nicht denken ließe. Erst mit dem Ukrainekrieg und der drohenden Energiekrise ist in unseren Breitengraden öffentlich ruchbar geworden, dass der exorbitante – und gerade im Zeichen der angestrebten „Energiewende“ noch weiter ansteigende – Rohstoffbedarf der Zentrumsökonomien der hichtourig laufende, niemals stotternde Motor globaler Verwerfungen ist. Des einen Zwang ist des anderen Fluch: Wer die Strukturprobleme einer sozialökologischen Transformation in den Blick bekommen möchte, muss sich der Relationalität global ungleicher Produktions-, Arbeits- und Lebensweisen stellen.

Der Veranstaltungsort

Die Ringvorlesung findet donnerstags von 18:00 Uhr bis 20:00 Uhr abwechselnd in Kassel und Marburg statt. Um an der Veranstaltung online teilzunehmen, können Sie sich HIER registrieren.

Venue in Kassel

Venue in Marburg