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Ringvorlesung am 07.02.2023, 18:00 bis 20:00 Uhr in Marburg
Vortrag von Prof. Dr. Rachid Ouaissa (Philipps-Universität Marburg)

Abstract

Der Maghreb: Das sind die Länder des westlichen Mittelmeers und der „untergehenden Sonne“. Dieser umfasst heute im Kern Marokko, Algerien und Tunesien, im weiteren Sinne auch Libyen und Mauretanien. Der Maghreb galt immer als attraktiver Hinterhof der europäischen Mächte. Ebenfalls galt er, als Teil des Mittelmeers, als das gelobte Land aller Mittelmeerimperialismen: Römer, Vandalen, Byzantiner, Araber und Türken, ganz zu schweigen von den Franzosen, die das gesamte Land durchdrungen haben. Die Geschichte der Verflechtung zwischen dem Maghreb und Europa ist eine Geschichte von Domination, Eroberung, Kolonialismus und Ausbeutung. Die Insellage des Maghreb, isoliert zwischen dem Mittelmeer und der großen Wüste, sowie der leichte Zugang zu diesem Gebiet erleichterte die Kontrolle durch mögliche Eroberer, die oft zu Assimilation, Verschmelzung zwischen den Eroberern und den lokalen Kulturen führte. Wirtschaftlich fungierte der Maghreb als Reservoir für Primärprodukte und als wichtiges Rückgrat für imperiale Strategien der Eroberer.
Wie in den meisten außereuropäischen Ländern sind auch hier die wichtigsten Ereignisse der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts die Beziehungen dieser Länder zu den kapitalistischen und industriellen Mächten. Die kolonialen Triumphe verursachten schwerwiegende Ungleichheiten und Widersprüche, die zu Befreiungsbewegungen führten. Die Geschichte der kolonialen Konstruktion der Region ist auch die Geschichte der Entstehung kolonialer Machttechniken und kolonialer Dynamiken zur Schaffung von geografische Wirklichkeiten sowie postkoloniale Verflechtungen.
Denn auch in der postkolonialen Phase sind der Maghreb und Europa eng verbunden. Mit einer klaren Dominanz Europas, diktiert die EU die Migrations-, Sicherheits-, Handels- und Energiepolitik und verfügt über ein Wissensmonopol im Mittelmeerraum und im Maghreb. Hier stellt sich die Frage, ob wir es mit einer Art kolonialen und gar imperialistischen Longue durée zu tun haben!

Kurzbiographie

Prof. Dr. Rachid Ouaissa lehrt Politik des Nahen und Mittleren Ostens am Centrum für Nah- und Mittelost- Studien der Philipps-Universität Marburg. Seine Schwerpunkte in der Forschung und Lehre sind Nord-Süd-Beziehungen, Aufstieg fundamentalistischer Bewegungen, EU-Mittelmeerpolitik sowie Renten-Ökonomien und Herrschaftssysteme im Nahen und Mittleren Osten und Nordafrika. Er hat langjährige Erfahrung mit Verbundprojekten und internationalen Kooperationen. Er war und ist Projektverantwortlicher des vom BMBF finanziertes Forschungsnetzwerk: „Re-Konfigurationen. Geschichte, Erinnerung und Transformationsprozesse im Mittleren Osten und Nordafrika“. Seit April 2021 ist er deutscher Direktor des Merian-Verbundprojektes MECAM in Tunis.

Aufnahme der Veranstaltung